Zwischen Herd und Office
Die Corona-Krise hat zu deutlich mehr Beschäftigten geführt, die ihre Arbeit zuhause erledigen. Viele Unternehmen planen, ihre Mitarbeitenden künftig seltener ins Büro zu bitten. Dadurch kommen auch auf den Büromarkt einschneidende Veränderungen zu.
Was für die meisten Firmen-Chefs vor einem guten halben Jahr noch ein unvorstellbares Horror-Szenario gewesen sein dürfte, wurde Mitte März innerhalb weniger Tage Realität. Unzählige Unternehmen, Organisationen, Sozialversicherungsträger, öffentliche Einrichtungen und Schulen mussten ihre Pforten schließen oder – wo möglich – ihre Mitarbeitenden ins Homeoffice schicken. Eine Situation, die vor allem Familien mit jüngeren Kindern vielfach bis an die Grenze der Belastbarkeit brachte.
Dennoch ist der frühere Ausnahmezustand in vielen Haushalten längst zur Normalität geworden. So haben laut Medienberichten vor allem große Unternehmen erkannt, dass der Arbeitsplatz im Büro für viele Beschäftigte nicht mehr zwingend erforderlich ist. Beim Softwarehersteller SAP dürfen die meisten Arbeitnehmer bereits seit 2018 selbst entscheiden, wo sie arbeiten wollen – und nehmen durchschnittlich an 2,6 Tagen pro Woche das Office daheim in Anspruch. Beim Elektrokonzern Siemens sollen die Beschäftigten künftig an zwei bis drei Tagen in der Woche zu Hause arbeiten können.
In den Haushalten von Beschäftigten der Unfallversicherungsträger hat sich das Office am Herd in den vergangenen Monaten ebenfalls vielfach etabliert – teilweise jedoch auch notgedrungen.
„Wir waren froh, schon nach kurzer Zeit etwa 1500 Beschäftigten das Arbeiten im Homeoffice zu ermöglichen. In der Lockdown-Phase haben manche Beschäftigte aber schnell gesagt: Ich möchte wieder in die Verwaltung kommen“, erinnert sich Thomas Zilch, Hauptabteilungsleiter IT bei der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW).
Von Beschäftigten, die in weniger großzügigen Raumverhältnissen wohnen, habe er häufiger gehört: „Die Frau ist daheim, das Kind ist daheim, Hund, Katze, Maus sind ebenfalls daheim. Ich kann so nicht konzentriert arbeiten.“
Andere Beschäftigte fühlten sich dagegen trotz fehlender direkter Kommunikation mit den Kolleg(inn)en zuhause sehr wohl, so Zilch. „Die sagen: Ich habe daheim ein schönes Arbeitszimmer. Mit den Kollegen bleibe ich über Video- oder Telefonkonferenzen in Kontakt. Ich muss eigentlich gar nicht mehr ins Büro.“ Diese Haltung kann IT-Fachmann Zilch zwar verstehen, er sieht sie aber auch mit einer gewissen Skepsis. „Wenn sich die Kolleginnen und Kollegen überhaupt nicht mehr persönlich treffen, fangen wir an, uns voneinander zu entfernen.“ Damit stelle sich letztlich auch die Frage nach der zukünftigen Entwicklung der Unternehmenskultur, so Zilch.
Mehr Homeoffice erwünscht
Dennoch gilt es Umfragen zufolge inzwischen als gesicherte Erkenntnis, dass sich viele Arbeitnehmer auch nach dem Ende Pandemie mehr Homeoffice als bisher möglich wünschen. Laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Yougov kann sich fast die Hälfte der Beschäftigten vorstellen, weiterhin teilweise von zu Hause zu arbeiten. 27 Prozent halten es demnach sogar für denkbar, ihrer Arbeit dauerhaft von den eigenen vier Wänden aus nachzugehen.
Allerdings lehnen der Studie zufolge auch 22 Prozent der Beschäftigten Homeoffice als langfristige Lösung für sich ab. Vor allem Singles klagen nach Erfahrung vieler Führungskräfte schon jetzt darüber, dass ihnen zuhause die sozialen Kontakte zu ihren Kollegen fehlen. Auch die Video- und Telefonkonferenzsysteme, die sich in den vergangenen Monaten in vielen Betrieben als Kommunikationsplattform durchgesetzt haben – etwa Zoom, Microsoft Teams, Skype Business oder BigBlueButton – sind für diese Arbeitnehmer „kein Ersatz für den Kaffeeplausch auf dem Büroflur und die direkte persönliche Kommunikation“, sagt BGHW-Experte Zilch. Seine Forderung: „Ein bisschen Präsenzkultur müssen wir auf jeden Fall aufrecht erhalten, damit ein gewisser Teamspirit erhalten bleibt“. Denn den könne man „mit Videokonferenzen nicht herbeiführen“.
Sorgen am Büro-Immobilienmarkt
Während sich Beschäftigte und Arbeitgeber derzeit vor allem mit den Perspektiven ihres Unternehmens und den damit verbundenen Arbeitsplätzen befassen, sehen Akteure auf dem Markt für Büroimmobilien die aktuelle Entwicklung mit zunehmenden Sorgen. Vor einem halben Jahr gingen noch drei von vier Befragten aus diesem Sektor davon aus, dass aufgrund des gesunkenen Leerstands die Mieten steigen würden. Dieses Bild hat sich deutlich gedreht.
„Umfassende Stützungsmaßnahmen wie das 130 Milliarden Euro schwere Konjunkturpaket begrenzen zwar den durch die Pandemie ausgelösten wirtschaftlichen Schaden. Dennoch dürfte die Büroflächen-Nachfrage spürbar schwächer ausfallen als in den Vorjahren“, hieß es im Juni in einer Studie der DZ Bank zum Büroimmobilienmarkt. Darauf deute der von Unternehmen wie BMW, Fraport, Lufthansa und ZF angekündigte Stellenabbau hin. Die Büro-Leerstände könnten im weiteren Verlauf der Corona-Krise um ein bis zwei Prozentpunkte zunehmen, so DZ Bank-Volkswirt Thorsten Lange. Weil der Büromarkt vor der Krise übersättigt gewesen sei, dürften die Leerstände allerdings überschaubar bleiben, ebenso die Mietrückgänge.
Dennoch dürfte sich der Siegeszug des Homeoffice bei den Büroimmobilien bemerkbar machen, schätzt Lange. „Diese Effekte könnten sich am Büromarkt schon frühzeitig auswirken, wenn Unternehmen und andere Arbeitgeber Entscheidungen über neue Büroflächen erst einmal hinauszögern, um den zukünftigen Flächenbedarf eingehend zu analysieren“. Das Büro ist seiner Einschätzung nach trotzdem kein Auslaufmodell: „Der Mensch ist ein soziales Wesen. Direkte Kommunikation und Teamarbeit führen auf Dauer zu besseren Ergebnissen als hundert Prozent Homeoffice.“
Künftige Anforderungen an die SIGUV
Ob die Zukunft der Arbeitsplätze bei den in der SIGUV kooperierenden Berufsgenossenschaften nun eher im Homeoffice liegt oder im Büro: IT-Chef Thomas Zilch hat jedenfalls schon klare Vorstellungen davon, wo sich technische Dienstleistungen künftig noch verbessern lassen. „Wenn man großflächig mit dem Homeoffice anfängt, dann fallen sofort die noch nicht digitalisierten Prozesse auf, zum Beispiel Beschaffungsvorgänge etc..“, sagt Zilch. „Für die SIGUV bedeutet das aus meiner Sicht, dass wir mit den gewonnenen Erkenntnissen nun schnell auch die letzten papiergestützen Arbeitsprozesse digitalisieren müssen“
Für die nächste Zeit, in der das Corona-Virus noch eine maßgebliche Rolle spielen wird, geht der BGHW-Experte davon aus, dass wegen der räumlichen Enge in vielen Verwaltungen zahlreiche Mitarbeiter weiterhin zuhause arbeiten müssten. In der BGHW gilt aktuell die Regel, dass Büros nur mit einer Person besetzt sein dürfen. Sollten sich die Corona-Krise aber so weit entspannen, dass man bei der Besetzung der Büros wieder zu einer Art „Normalzustand“ zurückkehren könne, sollten die derzeit gemachten Homeoffice-Erfahrungen genutzt werden, fordert Zilch. Dann müssten zum Beispiel Fragen geklärt werden wie „Welche Aufgaben lassen sich gut im Homeoffice ausführen - und welche weniger gut?“
Seine Erfahrung aus den vergangenen Monaten sei, dass „alle administrativen Tätigkeiten im IT-Betrieb sehr gut funktioniert hätten“, sagt Thomas Zilch. Schwieriger sei es dagegen gewesen, Projektarbeit vom heimischen Arbeitsplatz zu koordinieren – insbesondere bei Projekten, die sich in einem frühen Stadium befinden. „In solchen Fällen muss man den Leuten unbedingt die Gelegenheit geben, sich zu treffen“, fordert Zilch. „Dafür ist die Videokonferenz kein vollwertiger Ersatz.“
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